Für die Liebhaber von wirklich guter Science Fiction, kurz SF genannt, hätte ich hier mal einen brandheißen Lesetipp. Bloß: Wie und wo anfangen? OK, gehen wir mal gaaanz weit zurück. Da gab es 1938 ein Aufsehen (und Massenpanik) erregendes Hörspiel mit dem Titel „The War Of The Worlds“ nach dem gleichnamigen Roman von H. G. Wells aus dem Jahr 1898. Sowohl im Roman wie auch im Hörspiel ging es um Aliens, welche die Erde zwecks Invasion angreifen. Diese Thematik beherrschte die SF noch bis zum Ende der 1960er Jahre. Heute wissen wir, dass auch Aliens an Einsteins Relativitätstheorie scheitern würden und aufgrund der Naturgesetze in unserem Universum die Lichtgeschwindigkeit nicht überschreiten können. Die einzig mögliche Variante davon stellt der lt. NASA denkbare Warp-Antrieb dar, doch wäre dessen Energieverbrauch zum Erzeugen einer eigenen Raum-Zeit-Blase so exorbitant hoch, dass jede Invasionsabsicht hinsichtlich eines fremden Planeten von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Wir dürfen uns daher mit Blick auf böswillige Aliens in Sicherheit wiegen: Sie werden uns in Ruhe lassen, weil man, um Materie auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen zu können, unendliche Energie benötigt.

Gibt es überhaupt Aliens? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist extrem hoch. Könnte die Erde für die interessant sein? Möglicherweise, nämlich wenn deren Ursprungsplanet erdähnlich ist – was auch wahrscheinlich ist. Könnten die eine Invasion planen? Materiell nicht; zu den Gründen s. o., doch es existiert noch eine gänzlich andere Möglichkeit. Genau um die geht es bei dem Lesetipp. Unser Universum ist rund 13,8 Milliarden Jahre alt. Unsere Sonne ist ein vergleichsweise junger Stern, erst vor knapp 5 Milliarden Jahren entstanden. Wir selbst haben die Bühne des Lebens auf der Erde erst zwei Minuten vor Zwölf betreten. Eine außerirdische Rasse könnte uns daher sehr weit voraus sein – was sind schon ein paar lumpige Millionen von Jahren, gemessen an kosmischen Maßstäben? Wir hätten dann eine fortschrittliche Zivilisation (die Aliens) und eine primitive Zivilisation (die Menschheit). Wenn die Aliens auf Expansion bedacht sind, dann werden sie garantiert irgend etwas betreiben, was unserem SETI-Projekt ähnelt. Wir hingegen ballern seit Jahrzehnten Funkwellen in Form von Radio und Fernsehen ungehemmt in den Weltraum hinaus. Wenn die (gleichfalls nach Jahrzehnten der Reise mit Lichtgeschwindigkeit) aufgefangen werden würden, dann hätte die Alien-Zivilisation nicht nur ihre sehr zweifelhafte Freude an Dieter Bohlen oder Helene Fischer, sondern könnte auch ziemlich genau abschätzen, mit was für zurückgebliebenen Halbaffen sie es zu tun hat.

Und dann wird einfach hochgerechnet: Wann könnte die Zivilisation der Halbaffen soweit sein, ein eigenes, satellitengestütztes Datennetz realisiert zu haben, wie unendlich primitiv es den Außerirdischen auch erscheinen würde? Zeit spielt keine Rolle! Ein Datennetz kann man übernehmen. Ein Virus ist ein Programm, das Kopien seiner selbst auf dem Rechner des Users ablegt und fest programmierte Befehle befolgt. Ein Trojaner ist ein Programm, welches gut getarnt einem fremden Angreifer eine Hintertür auf dem Rechner des Users einbaut. Ein Wurm ist eine Software, die sich an den Netzwerktraffic dranhängt und so auf den Rechner des Users gelangt – um dort vorgegebene Befehle auszuführen. Heute aktuelle Malware beinhaltet i. d. R. Komponenten aller drei Gruppen. Es ist überaus wahrscheinlich, dass eine fortgeschrittenere Zivilisation als die Unsrige eine Art von „Supervirus“ (ggf. in Form einer KI) konstruieren könnte, die hier alle Schutzmaßnahmen spielend unterläuft. Das sind Bits und Bytes. Die sind nicht materiell, sondern lediglich reine Information. Reine Information lässt sich mit Lichtgeschwindigkeit übertragen. Also mit Funkwellen. Sie könnte – d. h. so ein „Supervirus“ könnte – per Satellit in das Internet eingeschleust werden.

Welcher Sinn steckt dahinter? Das „Supervirus“ könnte allgemein verfügbare Messdaten manipulieren und auf diese Weise Wissenschaftler sowie Politiker zu falschen Schlüssen – und damit auch zu falschen Handlungen – verleiten. Handlungen, welche unseren Planeten längerfristig derart verändern, dass er für die Aliens attraktiver wird, während uns selbst das Überleben in der sich verändernden Umwelt immer schwerer fällt (Beispiel Klimaerwärmung, Meeresversauerung, Artensterben usw.). So weit, so gut, aber wie kommen jetzt die Aliens hier her? Auch auf dem Wege der Information. Erbgut ist Information, zusammengesetzt aus den „Bits“ A (Adenin), G (Guanin), T (Thymin) und C (Cytosin). Das sind die Nukleinsäuren. Im Rahmen der synthetischen Biologie wird damit fleißig gebastelt (gerade auch in der Biohacker-Szene und beileibe nicht immer wirklich legal).

Sehr beliebt ist dabei die Verwendung so genannter „BioBricks“, also von modularen genetischen Einheiten, die vordefinierte Aufgaben erfüllen, analog etwa den elektronischen Schaltkreisen in Mikroprozessoren. Solche, in Bakterien einzufügenden Gene, kann man heute schon lange ganz normal über das Internet bestellen. Die werden lediglich synthetisiert und an den Abnehmer verkauft. Was der dann damit macht ist sein Bier. Und wenn nun besagtes „Supervirus“ die Sequenzen handelsüblicher „BioBricks“ so verändert, dass langfristig Ebenbilder der Aliens entstehen? Dann sind die hier. Mit Lichtgeschwindigkeit. Ohne Raumschiffe, dafür aber in einer für sie idealen Umwelt – die dann für uns nicht mehr wirklich ideal ist. Die eingangs erwähnte Invasion hätte im Zuge eines Langzeitplans stattgefunden, weil wir selbst tatkräftig daran mitgewirkt haben! Das ist eben „SF mal ganz anders“ und vor allem: Es ist denkbar und erscheint machbar!

Solche Stories kommen dabei raus, wenn gestandene Wissenschaftler SF schreiben. Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Husumer Indie-Autoren Gerd Kramer, seines Zeichens Physiker und Astronom. Er hat die ganze Geschichte in zwei Bücher verpackt, nämlich in „Das versteckte Experiment“ (Teil 1) und in „Im Netz der Hydra“ (Teil 2). Der erste und zweite Teil der Geschichte unterscheiden sich erheblich. Im ersten Teil hat Jan, seines Zeichens Schüler kurz vor dem Abi, im Unterricht gepennt und kann die Scharte nur durch ein Referat über das Sonnensystem auswetzen. Dazu recherchiert er im Internet. Dort trifft er im Chat auf Christine, die ihm so ziemlich alle Fragen beantworten kann. Was erst später deutlich wird: Christine ist eine Art von KI vom Planeten Istra, die vom „Supervirus“ weiß und die Erde mit Jan’s Hilfe (wozu sie dessen Profil ausgewertet und ihn gezielt kontaktiert hat) vor dem Schadprogramm schützen will. Soviel zur doch recht dürftigen Rahmenhandlung des ersten Teils.

Unabhängig von der dürftigen Rahmenhandlung ist „Das versteckte Experiment“ so unterhaltsam (allerdings auch etwas anspruchsvoll), dass man es kaum noch aus der Hand zu legen vermag: Also ein Buch, das „verschlungen“ wird. Eigentlich handelt es sich um ein in Romanform verpacktes, gut verständliches Lehrbuch über Quantenphysik, Wahrscheinlichkeiten, Astrophysik, Exobiologie und Kosmologie. Als es dann irgendwann, nachdem dem Leser bereits der Kopf von dem ganzen Wissen raucht, so richtig spannend wird, endet das Buch ziemlich abrupt. Der zweite Teil trägt die Züge eines Near-Future-Cyberkrimis und schließt sich nahtlos an. Er baut komplett auf dem im ersten Teil erworbenen Wissen auf. Hier allerdings spielt die Rahmenhandlung eine wesentlich größere Rolle.

Es gelingt Jan mit Christines Hilfe, das „Supervirus“ nach dem „HoneyPot„-Verfahren zu überlisten und zu zentralisieren. Mit einem EMP-Generator (Bauanleitung von Christine und Geld spielt keine Rolle, da sie die Aktienkurse manipuliert) wird dem Virus schließlich der Garaus gemacht. Der zweite Teil der Story ist irgendwie sogar noch spannender als der erste Teil, allein schon daran erkennbar, dass ich für Teil 1 knapp eine Woche und für Teil 2 gerade mal drei Tage zum Durchlesen gebraucht habe. Beide Teile sind in sich abgeschlossene Geschichten. Wer mehr an den Grundlagen interessiert ist der liest nur Teil 1. Wem die Grundlagen bereits geläufig sind der liest Teil 2. Und wen die komplette Geschichte interessiert der liest eben beide Teile nacheinander: Es lohnt sich wirklich!

Das Fazit der ganzen Sache: Es gibt sie eben doch noch, die gute alte, wissenschaftlich fundierte Hardcore-SF! Nur sucht man die eben bei den großen Verlagen ziemlich vergebens und muss sich diesbezüglich schonmal bei den Indie-Autoren umschauen. Gerd Kramer jedenfalls ist m. E. ein Autor, der den Vergleich mit den renommierten „SF-Urgesteinen“ wie z. B. Isaac Asimov, Larry Niven, Robert Heinlein, David Brin, Poul Anderson, Jack McDevitt usw. nicht zu fürchten braucht: Ganz klare und uneingeschränkte Fünf-Sterne-Leseempfehlung!