Werfen wir heute mal einen Blick auf das WWW. Nein, nicht auf das mit dem Internet, sondern auf das andere. Wie ist das zu verstehen? Angenommen, du trittst aus dem Wald heraus und siehst vielleicht vor dir einen Berg. Du bestaunst dessen Größe. Was du nicht siehst (und was viel größer ist), ist der Boden unter deinen Füßen. Der ist ein weißer Fleck auf der Landkarte. Der beinhaltet nämlich das andere WWW, das „Wood Wide Web„, bei dessen Erforschung wir noch ganz am Anfang stehen. Dabei ist es wahrscheinlich noch sehr viel umfangreicher als das Internet. Was ist mit diesem anderen WWW gemeint? Es handelt sich dabei gewissermaßen um das Internet der Natur respektive das Internet der Wildnis. Es ist gar nicht so schwer, dieses Netzwerk zu entdecken: Man schiebt etwas Laub beiseite, gräbt ein paar Finger tief die Erde weg und findet Wurzeln, die von einem weißen, wattigen Flaum umgeben sind, die wie verschimmelt aussehen.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Flaum ja auch um einen Pilz. Zur Erinnerung: Pilze bilden biologisch gesehen eine eigene Abteilung, die zwischen Tieren und Pflanzen anzusiedeln ist. Sie vollführen keine Photosynthese (wie z. B. Pflanzen), sondern ernähren sich im Grunde genommen parasitisch (wie viele Tiere). Das, was wir gemeinhin einen Pilz nennen, ist lediglich der im Vergleich zum gesamten Pilzfaden-Netzwerk im Boden geradezu verschwindend winzige Fruchtkörper. Der Pilz parasitiert folglich auf den Wuzeln des Baumes. Warum tut er das? Er benötigt Zucker. Den zapft er vom Baum ab, und zwar sogar ziemlich viel, nämlich bis zu 30% der Zuckerproduktion eines Baumes.

Der Pilz schiebt dazu eine Hyphe in die Feinwurzel des Baumes und schüttet zeitgleich (damit die Wurzel den Pilz nicht abstößt) ein Protein aus. Der Pilz nimmt aber nicht nur; er gibt auch, denn es ist in seinem eigenen Sinne, den Wirt möglichst lange am Leben zu erhalten. Für den Zucker, den der Pilz abzapft, versorgt er den Baum bspw. mit Stickstoff und Phosphor, weil der Baum selbst diese Nährstoffe gar nicht würde aufschließen können. Wir haben es hier folglich mit einem Mechanismus zu tun, der ähnlich dem von Knöllchenbakterien und Erbsen funktioniert: Aus dem Parasitismus ist Symbiose geworden. Zusätzlich schützen die Pilzfäden den Baum, indem sie Schadstoffe ausfiltern.

Der Pilz übernimmt vom Baum aber nicht nur Zucker, sondern auch Botenstoffe, sg. Phytohormone. Phytohormone kennt jeder: Äpfel und Tomaten emittieren bspw. das Gas Ethen (Ethylen) als Phytohormon. Es beschleunigt die Fruchtreifung ungemein und sorgt dafür, dass andere Früchte schon längst überreif verfaulen, während Apfel und Tomate noch in aller Ruhe reifen können. Die anderen Früchte bzw. ihre Wirtspflanzen sind dann (also verfault) nämlich für Apfel und Tomate keine Konkurrenten um Nährstoffe mehr. Bei Bananen bspw. nutzt der Mensch dieses Verfahren ganz bewusst aus: Die werden noch grün geerntet und gekühlt gelagert und erst vor dem Verkauf mit Ethen beaufschlagt, damit sie im Geschäft ihre gelbe Farbe haben.

Neben den gasförmigen Phytohormonen gibt es aber auch noch die in Flüssigkeit gelösten Botenstoffe. Die transportiert der Pilz mit Hilfe seines Myzels von Baum zu Baum. Das geschieht mit einer Geschwindigkeit von etwa 1cm/Sekunde und ist vermeintlich langsam. Aber rechnen wir mal: Angenommen eine Eiche wird vom Eichen-Prozessionsspinner – d. h. von einem Fressfeind – befallen. Dann produziert sie Abwehrstoffe, zu denen auch die Botenstoffe gehören. Nach nur einer Stunde (d. h. nach 3.600 Sekunden) haben die Botenstoffe dank des Pilzes 36m zurückgelegt. Eine bspw. 30m entfernt stehende Eiche ist jetzt schon gewarnt und beginnt nun ihrerseits, Abwehrstoffe (bspw. Gerbsäuren) gegen den noch gar nicht erfolgten Befall zu bilden, was ihre Überlebenschancen beträchtlich erhöht.

So weit, so gut, aber von welchen Dimensionen sprechen wir hier eigentlich? Eigentlich von geradezu unfassbaren Dimensionen! Ein einziger Baum kann bis zu 15 Pilze als Partner haben. Ein einziger Pilz kann bis zu 20 Bäume als Partner haben. Das wären dann schonmal locker „15*20=300“ Bäume im kleinstmöglichen Rahmen. Nun kann aber jeder Baum wiederum mit einem gleichgroßen Netzwerk verbunden sein. Wie groß das Wood Wide Web daher tatsächlich ist vermag niemand zu sagen. Es gibt eigentlich nur einen ziemlich mickrigen Vergleich um die Größe dieses Netzwerkes zu veranschaulichen und der stammt vom Roggen: Eine einzige Roggenpflanze verfügt über 13 Millionen Wurzelfasern mit einer Gesamtlänge von 600 Kilometern. An jeder Wurzelfaser wachsen etwa 14 Milliarden Wurzelhärchen, die aneinandergereiht eine Länge von 10.600 Kilometern ergeben. Das entspricht ungefähr der Entfernung von Pol zu Pol. Und eine einzelne Roggenpflanze ist im Vergleich zu einem Wald gar nichts … Das Internet von Mutter Natur ist gigantisch. Es liegt unter unseren Füßen. Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht irgendwann mal gegen uns eingesetzt wird!