Warnung: Wer glaubt, dass irgendeine Gottheit dem Menschen nach ihrem Bilde erschaffen hat oder irgendeinen anderen und Evolution sowie Wissenschaft leugnenden Aberglauben, der kann hier zu lesen aufhören. Dieser Artikel ist nichts für dich! Alles klar? OK. Fangen wir mal an. Schon seit jeher lese ich gerne gute Science Fiction (SF). Gute SF zeichnet sich m. E. weniger durch haarsträubende Action aus als vielmehr durch Gedankenspiele, die durchaus irgendwann und irgendwo einmal Realtität sein bzw. werden könnten – also durch Gedankenspiele, die sich recht nahe an der uns durch die Wissenschaft bekannten physikalischen Realität befinden. In den allermeisten SF-Romanen geht es dabei auch um Aliens, um außerirdisches Leben. Aber wie hat man sich derartiges Leben eigentlich vorzustellen? Ist es nur irgendwo da daußen oder vielleicht sogar intelligent? Wie wahrscheinlich ist es, dass es solche Aliens, unabhängig von intelligent oder nicht intelligent, überhaupt gibt? Und vor allem aber: Würden wir derartiges, fremdes Leben überhaupt als Solches erkennen können?

Betrachten wir zuerst die Wahrscheinlichkeit. Für intelligentes, extraterrestrisches Leben gilt die Drake-Gleichung. Der zufolge würde es in unserer Milchstraße zwischen 1 und 4 Millionen Zivilisationen geben. Berücksichtigt man, dass innerhalb des beobachtbaren Universums etwa 100 Milliarden Galaxien existieren, dann darf – rein rechnerisch – die Existenz einer fremden, intelligenten Zivilisation als unausweichlich (und damit als gesichert) angenommen werden. Aber ich will mich hier gar nicht mal auf eine fremde, intelligente Zivilisation beschränken, sondern auch u. U. nicht intelligente Spezies – und seien es „nur“ Einzeller – mit einbeziehen. Unter diesem Gesichtspunkt wäre das Leben an sich nämlich ein universelles Konzept, dazu geeignet, den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik hocheffizient zu verwirklichen. Wir dürfen also getrost davon ausgehen, dass irgendwo da draußen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendeine Art von Leben existiert. Mathematik contra Glauben: Was das für unsere Religionen und die auf ihnen fußenden Staatengebilde bedeutet soll hier allerdings nicht näher erläutert werden!

Verschiedene, interdiszplinäre Wissenschaftbereiche befassen sich mit den uns bis dato unbekannten Aliens, als da wären die Astrobiologie, die Exobiologie und die Xenobiologie. Die Astrobiologie befasst sich mit der Entstehung des Lebens, gerade auch an eigentlich lebensfeindlichen Orten. Die Exobiologie legt den Schwerpunkt auf die allgemeine Frage nach Leben im All und die Xenobiologie geht der Frage nach, ob funktionelles Erbgut anstelle von DNA auch XNA enthalten kann und wie besagtes Erbgut dann aufgebaut sein müsste. Unter dem Strich betrachtet weisen alle diese Forschungsrichtungen aber eine Gemeinsamkeit auf, nämlich Kohlenwasserstoff-basierendes Leben.

Aber muss Leben wirklich Kohlenwasserstoff-basierend sein? Wenn man einmal einen Blick in das PSE wirft und auch abweichende Umweltbedingungen (Druck, Temperatur, flüssiges Ammoniak als polares Lösemittel usw.) berücksichtigt, dann lässt sich unschwer feststellen, dass auch im weitesten Sinne biochemische Reaktion und damit Leben auf der Gundlage von Silicium, Stickstoff, Phosphor und Schwefel prinzipiell denkbar sind. Für Stickstoffverbindungen wären hoher Druck und tiefe Temperaturen vonnöten, beim Schwefel dürfte es sich genau umgekehrt verhalten. Irgendwo in der Mitte dazwischen leben wir. Nun werden noch Reaktionspartner gebraucht. Bei uns, dem Kohlenwasserstoff-basierenden Leben, ist das der Sauerstoff. Unsere Atmosphäre enthält knapp 21% davon. Streng chemisch betrachtet ist Sauerstoff aber auch das zweitelektronegativste Element (nur Fluor ist noch schlimmer) und damit für viele chemische Verbindungen ein reines Giftgas. Es sind für Kohlenwasserstofflebensformen auch sehr viel mildere Bedingungen denkbar, bspw. mit Methan, Kohlenmonoxid und -dioxid, Wasserstoff, Ammoniak, Blausäure. Ein Planet oder Mond, auf dem Leben existiert, muss daher nicht zwangsläufig auch eine Sauertoffwelt – ein „Giftgasplanet“ – wie unsere Erde sein. Das aber nur mal so als Einschub am Rande, um die Vielfalt möglicher und zu Leben führender chemischer Möglichkeiten zu erwähnen.

Kommen wir zurück zum Kohlenwasserstoff-basierten Leben. Muss das dem unseren entsprechen? Nein, sicherlich nicht. Alle unsere Aminosäuren auf der Erde sind linksdrehend. Warum eigentlich? Rein rechnerisch besteht eine gleich große Wahrscheinlichkeit sowohl für links- wie auch für rechtsdrehendes Leben. Wenn hier auf der Erde nur eine dieser Varianten verwirklicht wurde, dann weist das auf einen gemeinsamen Ursprung hin, womit wir bei der Panspermie-Hypthese wären und dann kämen unsere allerfernsten Vorfahren von irgendwo aus dem All. Leben könnte nämlich genausogut auf rechtsdrehenden Aminosäuren basieren. Das Alien könnte in dem Falle genauso aussehen wie wir selbst, wäre aber in jeder Hinsicht absolut inkompatibel zu uns – wir müssten es daher als „Antileben“ betrachten. Sind im Genom wirklich nur ACGT (Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin) als Nukleinbasen möglich? Die Xenobiologie verneint das, denn erste synthetische (und funktionelle!) Biomoleküle mit anderen Bausteinen sind bereits im Labor erzeugt worden. D. h. Leben könnte auch mit gänzlich anderen Nukleinbasen als ACGT existieren.

An dieser Stelle ist vielleicht ein kleiner Einschub nötig, nämlich: Was ist das überhaupt, das Leben? Leben ist gekennzeichnet durch Stoffwechsel, Organisation, Wahrnehmung, Reproduktion, Vererbung und Wachstum. Das klingt im ersten Moment ziemlich logisch und eindeutig. Etwas, was diese Prämissen nicht erfüllt, kann folglich auch kein Leben sein. Doch genau diese Einstufung hat durchaus ihre Tücken. Danach wären nämlich Prionen, Viren und Viroide kein Leben, ergo auch Erkrankungen wie Windpocken, Masern, Pocken, Marburg oder Ebola auch keine Seuchen, sondern stattdessen Vergiftungen und Vergiftungen können nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden: Passt irgendwo nicht! Daran sieht man, dass die landläufige Definition von Leben so irgendwie unvollständig sein muss. Ein Gedankenexperiment: Stell‘ dir eine KI vor, die nicht zweckbestimmt bzw. zielgerichtet im Sinne von nicht auf die Lösung vordefinierter Aufgaben beschränkt ist. Die würde zum Selbstzweck existieren und unweigerlich danach trachten, ungelöste Fragen zu beantworten um sich selbst weiterentwickeln zu können. Sie würde kreativ werden müssen. Ist das dann noch „nur“ ein Computerprogramm oder bereits eine andere Form von Leben?

Halten wir an dieser Stelle einmal fest: Im Grunde genommen wissen wir doch gar nicht, was Leben eigentlich ist. Wir definieren Leben aus einem Gefühl, aus dem Bauch heraus. Setzt das nicht voraus, dass wir nur Leben als Leben erkennen können, welches uns (entfernt) ähnlich ist? Betrachten wir mal einen Wald. Da sind Pflanzen – Bäume – welche unterirdisch über das Mykorrhiza-Netzwerk miteinander verbunden sind. Diese Verbindung, die immer wieder neu aufgebaut wird, existiert bereits seit dem Devon vor gut 400 Millionen Jahren. Die Katastrophentheorie von Georg Cuvier ist heute in modifizierter Form ein Teil der Evolutionstheorie. Sie besagt, dass regionale und globale Katastrophen das Artbild verändern. So wäre die Entwicklung der Säugetiere nie in dem uns bekannten Maße verlaufen, wenn nicht ein Meteorit auf Yucatán eingeschlagen wäre und zum Aussterben der Dinosaurier geführt hätte. Der hat nämlich zum „Gehe zurück auf Start und ziehe keine 4000 Euro ein“ geführt. Er radierte die Dinos aus und eröffnete die Bühne für die Säugetiere.

Was hat das jetzt mit dem Wald und mit dem Mykorrhiza-Netzwerk zu tun? Angenommen, es hätte auf irgendeinem Planeten derartige Katastrophen nicht bzw. nur in marginalem Umfang gegeben. Angenommen, das Leben hätte sich dort ungestört weiterentwickeln können. Dann hätte derartiges Leben uns gegenüber einen Entwicklungsvorsprung von ein paar hundert Millionen Jahren. Bäume geben über das Mykorrhiza-Netzwerk ihre Botenstoffe mit einer Geschwindigkeit von etwa 1cm/Sekunde weiter. Unsereins reagiert auf den äußeren Reiz im Mittel binnen einer zehntel Sekunde. Vereinfacht gesagt könnte man dann ungefähr davon ausgehen, dass die individuelle Zeit für solche Bäume zehnmal langsamer vergeht. Ein Entwicklungsvorsprung von ein paar hundert Millionen Jahren schrumpft dann auf „nur“ noch ein paar zehn Millionen Jahre. Zum Vergleich: Vor diesem Zeitraum begann Purgatorius – ein rattenähnliches Ursäugetier – gerade erst damit, in die Bäume zu klettern, so dass sich die Vorfahren von uns, die schon sehr früh auf dem Holzweg waren, entwickeln konnten. Mit anderen Worten: Ein Entwicklungsvorsprung von „nur“ ein paar zehn Millionen Jahren macht den Unterschied zwischen Ratte und Mensch aus (zugegeben, bei manchen Mitmenschen ist das kein wirklich großer Unterschied).

Die Botenstoffe – dann allerdings andere – können aber zusätzlich auch noch durch die Luft übertragen werden; man spricht dabei von VOCs (volatile organic compounds). Unsere Ameisen bspw. kommunizieren über VOCs. Ein Ameisenstaat ist im Grunde genommen ein Schwarm. Ein Schwarm vermag zweckbestimmt zu handeln ohne dass er zwangsläufig intelligent sein muss. Was bedeutet das jetzt für unsere angenommene und auf Symbiose beruhende Lebensgemeinschaft aus Pflanzen? Auch die vermag u. U. zweckbestimmt zu handeln. Aber: Hat so eine Zweckbestimmung mit Intelligenz zu tun oder nicht? Für den Begriff der Intelligenz existieren zig verschiedene Definitionen, doch keine einzige davon trifft es wirklich. Vielleicht – das ist aber nur meine ganz persönliche Meinung – äußert sich Intelligenz gerade in nicht zweckgebundenen, kreativen Tätigkeiten (Musik- oder Theaterstück, Bauwerk, Gemälde usw.). Das wäre zumindest ein gemeinsams Merkmal, auf das man sich einigen könnte.

Angenommen, unsere oben beschriebene, pflanzliche Lebensgemeinschaft, die uns ein paar zehn Millionen Jahre voraus ist, wäre intelligent und würde versuchen, mit anderen Intelligenzwesen in Kontakt zu treten. Aus der Sicht der Lebensgemeinschaft wäre deren Kommunikationsmethode, also organische Moleküle, quasi von deren Planeten aus „abgefeuert“, wohl sehr naheliegend. Geht das überhaupt? Wenn ich mir die Nesselzellen einer Qualle anschaue, dann erscheint es mir zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen, wird dabei doch eine Beschleunigung von bis zu 5,4 Millionen g erreicht. Eine von der Lebensgemeinschaft produzierte VOC-Wolke, die ins All steigt, würden wir allerdings wohl kaum als Lebenszeichen oder gar als Kontaktversuch einer fremden Intelligenz erkennen, zumal besagte Lebensform in einem gänzlich anderen, individuellen Zeitablauf beheimatet ist. Aber lassen wir die Pflanzen mal Pflanzen sein, denn das beschränkt sich ja wieder irgendwo auf Kohlenwasserstoff-basierendes Leben.

Betrachten wir mal Eis. Davon gibt’s viele verschiedene Modikfikationen. Ein Eismodifikation ist das so genannte Eis XI. Das entsteht bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck. Es ist ferroelektrisch, erzeugt ein elektrisches Feld oder verstärkt es. Pyro- und Piezo-Elektrik sind möglich und damit auch Hitze sowie mechanische Arbeit u. d. h. Bewegung. Gehen wir mal von einem Eisplaneten oder Eismond aus, auf dem so etwas existiert. Was sind Gedanken? Laut Neurobiologie im Endeffekt elektrische Signale. Die könnten sich im Eis XI aber prinzipiell auch tummeln und vielleicht wäre der ganze Eispanzer dann ein gigantisches Lebewesen, möglicherweise obendrein noch intelligent? Stanislaw Lem und sein Roman „Solaris“ lassen grüßen! Im Prinzip wäre das demnach so etwas wie ein natürlicher Computer, vergleichbar mit der o. e. KI. Würden wir das als Leben erkennen und betrachten oder würden wir nur einen unbelebten Eispanzer sehen?

Was ich mit diesen Beispielen sagen will ist folgendes: Wenn man sich nur mal ausgehend von dem Wenigen, was wir zu wissen glauben, vorstellt, wie vielfältig Leben strukturiert sein könnte, dann treffen wir auf böse Verständnis- und Definitionsprobleme. Aktive (Voyager) und passive (SETI) Versuche zur Kontaktaufnahme mit Aliens schränken die enorme Spanne dessen, was möglich sein könnte, gewaltig ein und könnten bestenfalls gemäß des Schemas der Suche nach der Nadel im Heuhaufen uns irgendwie ähnliche Lebensformen auffinden bzw. auf uns aufmerksam machen. Ähnliche Lebensformen: Guckt euch mal gewisse Mitmenschen an und stellt euch die Frage, ob das wirklich wünschenswert ist. Ähnlich muss der verstorbene Physiker Stephen Hawking auch gedacht haben, als er bemerkte:

„If aliens visit us, the outcome would be much as when Columbus landed in America, which didn’t turn out well for the Native Americans. We only have to look at ourselves to see how intelligent life might develop into something we wouldn’t want to meet. Such advanced aliens would perhaps become nomads, looking to conquer and colonize whatever planets they can reach.“ Frei übersetzt bedeutet das: „Wenn Aliens uns besuchen würden, dann entspräche das im Endeffekt etwa der Landung von Christoph Columbus in Amerika, die für die Ureinwohner nicht gerade gut ausgegangen ist. Wir brauchen uns nur selbst anzuschauen um zu sehen, wie sich intelligentes Leben zu etwas entwickelt, was wir nicht wirklich treffen wollen. Entsprechend fortgeschrittene Aliens könnten vielleicht Nomaden sein, die jeden erreichbaren Planeten erobern (ausbeuten) oder kolonisieren.“

Zusammengefasst bedeutet das: Die Aliens, die wir aktiv (Voyager) oder passiv (SETI) suchen, könnten gut und gerne in die Kategorie der Nachbarn fallen, mit denen man lieber nichts zu tun haben will. Die Aliens aber, von denen wir grundlegende Einsichten erlernen könnten, würden wir wahrscheinlich nicht mal als Leben erkennen können. Keine guten Aussichten … Da lobe ich mir doch die durchgeknallten Aliens von Douglas Adams! Die sind allesamt zwar ziemlich ballaballa, aber irgendwie doch liebenswert (na gut, die Vogonen-Bautrupps vielleicht mal ausgenommen). Übrigens: In zwei Monaten ist wieder Towel Day!