Das Wissen der Menschheit ist heute so umfangreich wie nie zuvor. Noch wesentlich umfangreicher dürfte allerdings das bereits verloren gegangene Wissen sein. Ein paar Beispiele gefällig? Pappmaché als Baustoff kennt heute keiner mehr, dabei ist das einer der Grundstoffe von Schloss Ludwigslust (das „kleine Versailles des Nordens“) – dessen Baumeister haben ihr Geheimnis mit ins Grab genommen und die Wissenschaft rätselt heute noch, wie man mit jahrhundertelang wetterfestem Pappmaché bauen konnte. Noch in den 1970er Jahren war der Rechenschieber (auch Rechenstab genannt) ein übliches Hilfsmittel in den Naturwissenschaften, doch wer kann heute noch damit umgehen bzw. wer kennt so ein Teil überhaupt noch? In den 1980er Jahren löste man viele mathematische Probleme in der betrieblichen Praxis mittels Nomographie, doch wer erinnert sich heute noch daran, dass es auch ohne Computer geht? Der „Digital Native“ von heute setzt auf Taschenrechner bzw. Taschenrechner-App und ist in dem Augenblick, in dem dieses Hilfsmittel den Geist aufgibt oder nicht zur Verfügung steht, hilflos wie eine umgedrehte Schildkröte. Selbst ein simples Wählscheiben-Telefon lässt ihn mitunter schon rätseln.
Ich finde es überaus bedauerlich und sogar gefährlich, wenn all dieses alte Wissen im Laufe der Zeit verschwindet. Warum? Weil unser heutiges Wissen zum allergrößten Teil digital gespeichert ist. Digitale Speichermedien aber sind extrem vergänglich – wer’s nicht glaubt, der versuche nur mal, eine vor zehn Jahren selbst gebrannte CD noch zu lesen. In der Mehrzahl der Fälle haut das nämlich nicht mehr hin – wohingegen die alte, analoge 78er-Schellackplatte von anno dunneknacks auch heute noch läuft. Das alte Wissen stellt also quasi den Plan B für den Fall dar, dass digitales Wissen einmal nicht zur Verfügung stehen sollte: Es ist immer noch besser zu wissen, wie man Lebensmittel anbaut und verarbeitet als zu wissen, wie der Thermomix bedient wird! Zu dem alten Wissen zählt u. a. auch das schriftliche Multiplizieren, wie man es (noch) in der Schule lernt. Es führen aber bekanntlich viele Wege nach Rom und auch beim schriftlichen Multiplizieren existiert ein noch sehr viel älteres Verfahren, welches schon seit vielen Jahrzehnten (vielleicht sogar Jahrhunderten) in den Schulen nicht mehr gelehrt wird – dabei ist das m. E. sogar noch deutlich einfacher. Ich will das mal anhand von drei Beispielen verdeutlichen.
Zeile A: 5 * 12
Zeile B: 2 * 24
Zeile C: 1 * 48
Die Aufgabe lautete „5 * 12 = ?“ (Zeile A). Man halbiert die erste Zahl (hier: „5/2=2,5“) und schreibt nur deren ganzzahligen Anteil (hier: „2“) hin; zusätzlich verdoppelt man die zweite Zahl (Zeile B). Das wird so lange weiter gemacht, bis man aufgrund des Halbierens mit der ersten Zahl bei „1“ angekommen ist (Zeile C). Nun streicht man alle Zeilen, die mit einer geraden Zahl beginnen (hier also Zeile B):
Zeile A: 5 * 12
Zeile C: 1 * 48
Von dem, was nun übrig bleibt, werden die beiden letzten Zahlen der Aufgabe addiert, hier also „48 + 12 = 60“. Geht ganz simpel und schnell und lässt sich sogar im Kopf rechnen! Noch ein Beispiel gefällig?
Zeile A: 45 * 38
Zeile B: 22 * 76
Zeile C: 11 * 152
Zeile D: 5 * 304
Zeile E: 2 * 608
Zeile F: 1 * 1216
Die Zeilen B und E beginnen mit geraden Zahlen und werden daher gestrichen (d. h. sie fallen komplett raus). Übrig bleibt:
Zeile A: 45 * 38
Zeile C: 11 * 152
Zeile D: 5 * 304
Zeile F: 1 * 1216
Wieder sind die letzten Zahlen zu addieren: „38+152+304+1.216=1.710“. Geht ganz einfach! Selbst mit Kommazahlen funktioniert es unter Verwendung eines kleinen Tricks bestens:
Zeile 0: 0,1 * 1,11
Zeile 1: 0,10 * 1,11 (wird mit 100 erweitert damit das Komma rausfällt)
Zeile A: 10 * 111
Zeile B: 5 * 222
Zeile C: 2 * 444
Zeile D: 1 * 888
Zeile 0 enthält die Originalaufgabe, bei der auffällt, dass unterschiedliche Anzahlen von Nachkommadezimalen vorhanden sind. Ergo ändert man mit Zeile 1 die Schreibweise dahingehend, dass gleiche Anzahlen an Nachkommadezimalen da sind und erweitert die Zahlen so, dass das Komma rausfällt. Das führt zu Zeile A. Im Anschluss wird wieder wie gewohnt die erste Zahl halbiert und die zweite Zahl verdoppelt. Die Zeilen A und C beginnen danach mit geraden Zahlen und fallen raus; übrig bleiben:
Zeile B: 5 * 222
Zeile D: 1 * 888
Die beiden Zahlen addiert „222+888=1.110“ führt zu einem Zwischenergebnis, denn die Nachkommadezimalen sind ja noch nicht berücksichtigt worden, nämlich zwei Multiplikatoren, die man vorab um jeweils 100 erweitert hat. Folglich muss das Zwischenergebnis auch noch durch „100*100=10.000“ geteilt werden: „1.110/10.000=0,111“ und fertig ist die Lösung: „0,1*1,11=0,111“. Wer’s nicht glaubt kann die obigen Beispiele ja mit dem Taschenrechner nachrechnen. 😉
Wann und aus welchem Grund das „Alte Multiplizieren“ abgeschafft worden ist weiß ich nicht. Vielleicht in dem Moment, in dem der mathematische Hintergrund dieses Verfahrens verloren gegangen ist – und den muss es zwangsläufig geben, denn die Methode funktioniert IMMER: Auch bei Nacht, Regen, Schneesturm und Stromausfall sowohl auf der Erde wie auch unter Wasser oder auf dem Mond! Darin liegt eben der Vorteil von altem Wissen und die vielbeschworene Digitalisierung ist wirklich nicht immer der Weisheit letzter Schluss …
bei mathe bist du mir überlegen, denn ich habe dyskalculie, eine zahlen und rechenschwäche. die 5 im fach mathe steht dafür exemplarisch.
aber ich weiß mir zu helfen auch ohne taschenrechner.
dann schreibe ich die 12 fünf mal untereinander und addiere die zahlen, das ergebnis ist meist richtig. 😉
den rechenschieber kenne ich aus der 9. klasse gymnasium.
wofür wir den brauchten entzieht sich meiner kenntnis, auch ist er nicht mehr in meinem besitz. (mutter und so)
ich glaube wir rechneten damit multiplikation etc aus.
eine geschichte zu meinen mathekenntnissen habe ich auf lager.
es ist das jahr 1992, nach einer halbjährigen behandlung in einer psychiatrischen klinik wegen einer reaktiven depression sollte ich eine berufliche rehamassnahme vom arbeitsamt machen, die rehaberaterin wollte das, ich nicht, denn ich sollte bürokrauffrau erlernen, doch drohte die mit entzug der arbeistlosenhilfe.
also zum eignungstest zum arbeitsamt gefahren.
heraus kam, dass ich gutes realschulniveau hatte aber bei mathe schlicht versagte.
die dyskalculie war noch nicht bekannt.
trotzdem musste ich dann später die berufliche reha massnahme antreten, die ich ungefähr sechs wochen vor abschlußprüfung vor psychischer erschöpfung abrechen musste.
2 jahre des lebens verloren mit einer ausbildung die ich nicht wollte. es lag nicht mal an schlechten zensuren, die meinen waren gutes mittel, aber die innere weigerung und das gefühl wie zur ersten ausbildung beim steuerberater auf druck der mutter führten dazu, dass ich vor erschöpfung abbrechen musste.
wir sind uns in einigen dingen sehr ähnlich, lieber freund.
zwang, druck und missbrauch… haben mein leben unerträglich und vor allem mich krank gemacht.
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