Man hört manchmal, dass Rezensionen gekauft sind – speziell die, die bei einem allseits bekannten und ganz großen (Buch-)Händler auftauchen, der sich selbst als Logistikunternehmen versteht. Aus eigener Erfahrung als Autor (vgl. u. a. HIER und HIER) kann ich das durchaus bestätigen. Sicherlich sind nicht alle Rezensionen gekauft, aber doch verdammt viele. Gute Rezensionen sind für Autoren wie bares Geld und mancher Rezensent wird durchaus zugänglich, wenn er außer seinem kostenlosen Probeexemplar auch noch einen oder mehrere Hundert-Euro-Scheine als Lesezeichen erhält. Mir selbst ist es in diesem Zusammenhang vor etlichen Jahren einmal passiert, dass ich Post eines Rezi-Unternehmens erhielt, in dem man eine schlechte Rezension eines meiner Bücher ankündigte und gegen Bares deutliche Verbesserungen bis hin zur Fünf-Sterne-Bewertung versprach. Und, nein, mit Erpressung hat das natürlich überhaupt nichts zu tun! Als ich den Namen des betreffenden Unternehmens öffentlich machte, da wurde ich abgemahnt. Seither stehe ich Rezensionen sehr, sehr misstrauisch gegenüber. Was jetzt kommt ist auch eine Rezension. Aber die ist ehrlich. Die ist nicht gekauft und die mündet letztlich in gleich zwei echten Lesetipps.

Neben wissenschaftlicher Fachliteratur lese ich gerne Science Fiction und fiktive Was-Wäre-Wenn-Geschichten. Ökothriller (es gibt nicht viele davon) fallen in die letztgenannte Kategorie und um zwei Ökothriller (andere Leute würden die vielleicht unter Krimis oder Romanen einordnen) soll es auch gehen. Beide Bücher bauen zwar aufeinander auf, aber man kann beide auch durchaus unabhängig voneinander bzw. in der falschen Reihenfolge lesen – das tut der Sache keinen Abbruch, denn beides sind so genannte „Page Turner“. D. h. man legt das Buch nicht mehr weg bis man es durch hat. Der erste Band nennt sich „Feine Würze Dioxin„und der zweite Band trägt den Titel „Terrorziel Wasser„. Beide Bücher stammen von Erich Schöndorf, einem früheren Staatsanwalt und Rechtswissenschaftler, der mit Großkonzernen (z. B. Bayer) im Disput gelegen hat. Man sollte sich nicht dadurch irritieren lassen, dass der Verlag die Bücher in falscher Reihenfolge auf den Markt gebracht hat – nämlich Band 2 im Jahr 2016 und Band 1 im Jahr 2018. Unbedingt muss aber vorab noch gesagt werden, dass beide Bücher (um wirklich begriffen werden zu können) in den Bereichen Chemie (Band 1) und Mikrobiologie bzw. Biochemie (Band 2) tiefergehende Kenntnisse voraus setzen. Kommen wir nun zu der Rezension.

Erich Schöndorf: Feine Würze Dioxin (Band 1)

Von Dioxin hat jeder schon einmal gehört. Es handelt sich um ein absolutes Ultragift (man schätzt, dass man mit einem Teelöffel voll davon New York entvölkern könnte), welches allerdings normalerweise nicht gezielt hergestellt wird, sondern als unliebsame Verunreinigung bei der Produktion von so manchem Holzschutzmittel oder Insektizid entstehen kann. Agent Orange dürfte ebenso wie Seveso ein Begriff sein. Sicherlich ließe es sich im Rahmen einer Aufarbeitung chemisch herausextrahieren, aber dann würde das betreffende Hauptprodukt so teuer werden, dass es nicht mehr bezahlbar wäre und somit keinen Gewinn ermöglichte. Deswegen bleibt das Dioxin drin. Deswegen finden sich auch in den Körpern von uns allen Dioxinspuren – mal mehr, mal weniger. Bei denjenigen, die irgendwo mit dem inzwischen verbotenen PCP ihr Holz geschützt haben eben mehr, weil da auch Dioxin als Verunreinigung drin war und im Verlauf von Jahrzehnten ausdunstet. Entsprechend schleichend verlaufen Dioxinvergiftungen mit mitunter gänzlich unterschiedlichen Symptomen, angefangen bei Chlorakne und Kindsmissbildungen (bei Einwirkung hoher Dioxindosierungen) bis hin zu gänzlich unspezifischen Symptomen wie Haarausfall, Depression oder Intelligenzminderung (bei langfristiger Einwirkung sehr geringer Dosierungen).

Das Dioxin gibt es eigentlich auch gar nicht. Vielmehr beschreiben die Dioxine eine Stoffgruppe mit rund 200 verschiedenen Verbindungen (zwei über Sauerstoffbrücken miteinander verbundene Aromatringe, welche unterschiedlich substituiert sind) – und alle zwar giftig, aber auch mit ziemlich unterschiedlichem Wirkungsbild. D. h. wo, wie und wieviele Chloratome man dran hängt, ob man Nitrat- oder Alkoholgruppen anstelle des Chlors mit ins Spiel bringt usw. verändert jeweils die Verbindung komplett und erzeugt ein neues Molekül mit neuer Wirkungscharakteristik. Das ist die übliche Vorgehensweise in der synthetisch-präparativen Chemie und für den Chemiker ist das PSE dafür wie ein riesiger Haufen von LEGO-Steinen. Typisches Beispiel: Nitropenta ist ein gebräuchliches Arzneimittel gegen Angina Pectoris. Tauscht man das mittlere, zentrale Kohlenstoffatom gegen ein Siliziumatom aus, dann erhält man einen Supersprengstoff, gegen den TNT eine lahme Ente ist. Entsprechende Molekülumbauten erlernt ein Chemisch-Technischer Assistent spätestens im dritten Semester.

Der Thriller „Feine Würze Dioxin“ handelt von so einem Molekülumbau und enthält zwei Handlungsebenen, nämlich eine vordergründige und das, was nebenbei erwähnt wird und was quasi zwischen den Zeilen steht. Das ist vielleicht sogar noch wichtiger als die eigentliche Handlung, doch dazu weiter unten mehr. Betrachten wir zunächst die Haupthandlung. Es gibt zwei Suizidfälle: Einer wirft sich vor eine Straßenbahn und eine springt vom Balkon. Für die Polizei alltägliche Vorgänge. Dann aber fallen der Rechtsmedizinerin bei der Obduktion der Leichen mehreren Parallelen auf: Beide Leichen sind vollkommen enthaart, beide zeigen eine entartete Bauchspeicheldrüse und eine abnormale Hirnanhangdrüse. Die Medizinerin untersucht die beiden auffälligen Organe (bei denen es sich um so genannte Speicherorgane handelt) routinemäßig in chemischer Hinsicht und stellt extreme Dioxinkonzentrationen darin fest, welche die Symptome der beiden erklären. Jetzt deutet alles auf Suizide in Folge von Vergiftungen hin, also nicht mehr auf „normale“ Suizide – ein Fall für die Kripo? Woher stammt das Gift? Der ermittelnde Kommissar findet heraus, dass beide Toten früher einmal Kollegen gewesen sind. Sie arbeiteten im gleichen chemischen Labor eines Pharmakonzerns, in dem es zu einem Unfall kam – der erfolgreich vertuscht worden ist. Jetzt gerät besagtes Unternehmen ins Visier des Kommissars. Doch er wird von oben her zurück gepfiffen, weil es gewisse Seilschaften zwischen Managern und Staatsanwaltschaft gibt. Offiziell ist der Fall damit abgeschlossen.

Ist er das wirklich? Der Kommissar macht auf eigene Kappe weiter und hält sich dabei nicht an die Regeln (Schimanski lässt grüßen!). Er findet mit tatkräftiger Unterstützung der Rechtsmedizinerin heraus, was wirklich hinter den Vergiftungen steckt – nämlich ein Milliardengeschäft. Der Pharmakonzern hat eine Dioxinvariante entwickelt, die wie das Serotonin im Gehirn wirkt (was aufgrund der entfernten stereochemischen Ähnlichkeiten beider Stoffe durchaus denkbar erscheint). Mit anderen Worten: Die Dioxinvariante macht süchtig. Mehr noch: Sie erzeugt Heißhunger auf Fleisch, indem sie in die Nahrungsmittelmetabolisierung des Körpers eingreift. Während der Konzern in Deutschland verbotenerweise das Dioxin zusammenkocht und an Affen testet, werden in Brasilien – wo offizielle Stellen gegen Bares gerne wegschauen – als Schulspeisung deklarierte Fütterungsversuche an verarmten Kindern durchgeführt.

Denn der Konzern plant gerade, eine insolvente Fast-Food-Kette zu übernehmen und beides zusammen wäre ein Riesengeschäft – eines, das noch üppiger ausfallen könnte, wenn die Pille gegen Übergewicht, an der seitens des Pharmaunternehmens gleichfalls in Deutschland geforscht wird, endlich marktreif wäre. Das man die Menschen dadurch vergiftet ist nebensächlich, denn einerseits betrachten die verantwortlichen Manager, welche sich ausschließlich dem Geld verpflichtet fühlen, ihre Opfer als nachwachsende Rohstoffe, andererseits treten die letalen Folgen der Intoxikation erst nach Jahren zutage und nicht zuletzt hat man das Wirkstoffmolekül – d. h. die Dioxinvariante – durch an das Molekül gehängte Liganden inzwischen so getarnt, dass es bei der üblichen, automatisierten Analytik mittels GC-MS nicht mehr erkannt werden kann. Der Kommissar und die Rechtsmedizinerin decken das Komplott auf. Zum Dank dafür wird der Kommissar strafversetzt und abgeschoben, denn den oberen Rängen in einer Hierarchie darf keiner in die Quere kommen. Der Konzern kommt damit durch, weil auch das Militär an den Forschungen interessiert und Korruption auf höchster Ebene gang und gäbe ist. Soweit die vordergründige Handlung.

Auf der zweiten Handlungsebene wird es aber noch viel interessanter. Das Polizisten oft und gerne zurück gepfiffen werden, wenn es um die oberen Zehntausend geht, ist ein offenes Geheimnis. Wer heute behauptet, dass ein Generalstaatsanwalt mit Wirtschaftskapitänen gemeinsame Sache macht und somit aufgrund von gemeinsamen Leichen im Keller mitunter Verbrechen unter den Tisch kehrt, der muss – eine Zensur findet ja bekanntlich nicht statt! – damit rechnen, juristisch belangt zu werden. In einem Roman lässt sich so etwas allerdings problemlos unterbringen, denn der ist ja rein fiktiv: Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen! An den betreffenden Stellen bemerkt man als Leser ganz genau, dass der Autor ein erfahrener Rechtswissenschaftler mit Insiderwissen ist. Auch, dass wir in einem Zweiklassenrechtssystem leben – es gilt das Recht des Stärkeren – kann man so den Leuten ganz legal beibringen (ist ja nur ausgedacht, nicht wahr?).

Der Rechtswissenschaftler und frühere Staatsanwalt beschreibt unser Rechtssystem quasi als den Staat im Staate, der im Dritten Reich das Grauen von Ausschwitz erst ermöglicht hat – er zieht sogar genau diesen Vergleich – und betont, dass im Grunde genommen seit damals keinerlei Veränderung eingetreten ist. Mehr noch: Es klingt durch, dass Justizia in Deutschland käuflich ist, dass ein Großteil der entsprechenden Examen fast schon traditionell gekauft worden sein soll und dass seitens der Justiz kein gesteigertes Interesse daran besteht, derartige Praktiken zu verfolgen, weil diejenigen, die das tun müssten, ihre Examen selbst unredlich erworben haben. Letztlich stimmt hier ein Insider einen Abgesang auf den Rechtsstaat an. Wirklich alles nur rein fiktiv? Wer dieses Buch gelesen hat und zuvor immer noch dem Märchen von Recht und Gesetz anhing, der wird spätestens jetzt ausgesprochen nachdenklich!

Was die Vorgehensweise des Konzerns betrifft … – nun, ich habe über ein Vierteljahrhundert lang selbst in der Chemie gearbeitet. An den Haaren herbei gezogen ist das, was da geschrieben steht, ganz sicher nicht! Menschenleben sind nun einmal nichts wert, wenn es um’s Geld geht und Kaufleute ganz weit oben schrecken vor gar nichts zurück. Das ist meine ureigene Erfahrung, wobei ich auch das Vertuschen von durchaus kritischen Unfällen mit erlebt habe (im Falle eines radioaktiven Strahlungsunfalls war ich ja einmal sogar selbst das Opfer). Insofern könnte das, was man in „Feine Würze Dioxin“ liest, durchaus den Tatsachen entsprechen. Vielleicht passiert es einmal. Vielleicht ist es ja sogar schonmal irgendwo passiert – und nicht nur einmal?

Kritikpunkte meinerseits gibt es aber auch. So sind manche Sachen, die ich in die Rubrik „Flüchtigkeitsfehler“ einordnen würde, etwas irritierend. Da ist bspw. der bekannte Bergsteiger Reinhold Messerschmidt (gemeint ist Reinhold Messner) und „Mr. Jekyll und Dr. Hyde“ (anstelle von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“) lässt einen doch schon etwas stutzen. Andererseits dürfte bei den Ausführungen über den fiktiven Chemiekonzern „Monferrato“ mit Sicherheit „Monsanto“ Pate gestanden haben und es sich um ein beabsichtigtes Wortspiel handeln. Flüchtigkeitsfehler wie beschrieben und Wortspiele unterbrechen den Lesefluss, denn man weiß nicht so genau, wie es eigentlich gemeint ist. Auch die These, dass man die dreidimensionale Ausrichtung eines Moleküls im Rahmen der Synthese mit einem Magnetfeld spezifisch beeinflussen kann, erscheint mir äußerst gewagt. An solchen Stellen bemerkt man, dass hier ein Rechts- und eben kein Naturwissenschaftler am Werk war. Wenn man über die betreffenden Passagen jedoch hinweg liest, dann liefert das Buch wirklich intelligent gemachte, erstklassige, spannende und irgendwie auch „ganz andere“ Unterhaltung!

Abschließend vielleicht noch ein paar Worte zu Band 2, zu „Terrorziel Wasser“: Auch das Buch habe ich gelesen und auch das ist ausgesprochen lesenswert. Da geht es um Bioterrorismus und auch in diesem Buch sind die o. e. Handlungsträger, nämlich Kommissar und Rechtsmedizinerin, wieder die Hauptprotagonisten. Auch „Terrorziel Wasser“ gliedert sich in die zwei Ebenen von Haupthandlung und dem, was quasi zwischen den Zeilen steht, auf. Zwischen den Zeilen steht u. a., dass Terrorismus nicht auf den IS beschränkt sein muss, sondern gerade in Mitteleuropa seine Wurzeln im gehobenen Bürgertum hat – die RAF lässt grüßen. Zwischen den Zeilen steht auch, dass gerade die freie (unkontrollierte?) Forschung in den Universitäten entsprechenden Leuten alle erforderlichen Mittel bietet, um anstelle von Sprengstoffgürteln echte Massenvernichtungswaffen auf biologischer Grundlage zu basteln. Ähnliches gilt für andere technische Neuentwicklungen im Bereich des Terrors, wobei auch Problemabfälle als Waffe zur Anwendung kommen könnten. Unsere Zivilisation ist darauf nicht vorbereitet und – um auf „Terrorziel Wasser“ zurück zu kommen – insbesondere Städte mit zentraler Wasserversorgung könnten ein Primärziel sein, sofern ein entsprechendes Virus nur mit hinreichend langer Inkubationszeit ausgestattet wird. Im zweiten Band muss daher Las Vegas dran glauben: Gleichfalls ein sehr zu empfehlendes Buch!