„You never count your money
When you’re sittin‘ at the table.
There’ll be time enough for countin‘
When the dealing’s done.“
(Kenny Rogers in „The Gambler„).

Seit ich vor 46 Jahren meine berufliche Tätigkeit aufgenommen habe geistert permanent der Begriff des „Fachkräftemangels“ immer wieder durch die Medien. Früher hielt ich das für eine Schutzbehauptung der Arbeitgeber, um bei denjenigen Bewerbern, welche den Anforderungen nicht zu hundert Prozent entsprachen, die Löhne drücken zu können und exakt so wurde das auch gehandhabt. Bis etwa zur Jahrtausendwende. Seither ist aus dem vermeintlichen Fachkräftemangel offenbar zwar schleichend, aber dafür nachhaltig, ein echter Fachkräftemangel geworden. Darüber hat bspw. Heise jüngst erst wieder berichtet. Doch woran liegt es, wenn zu wenig Fachkräfte da sind? Unsere Medien erwecken unisono den Anschein, als sei das allein die Sache bildungsunwilliger Arbeitnehmer. Ich will keineswegs bestreiten, dass es davon welche gibt, sehe die ganze Situation allerdings doch ziemlich anders. Für mich stehen dabei als Verursacher nämlich Politik und Arbeitgeberschaft im Vordergrund!

Warum? Wenn ich auf damals, als ich angefangen habe, zurück blicke, dann spielten Scheine – sprich Abschlüsse – auch schon eine wichtige Rolle. Aber nicht die Wichtigste. Am wichtigsten waren arbeitnehmerseitig Fachwissen, Leistung, Engagement und Weiterbildungsbereitschaft. Wer das mitbrachte konnte sich im Rahmen eines Bewährungsaufstiegs bis zu einem gewissen Limit beruflich verbessern. Die Unternehmen bildeten auf diese Weise nach und nach ihre eigenen, maßgeschneiderten Fachkräfte aus und das funktionierte hervorragend. Damals galt: Mitarbeiter sind das Kapital der Firma! Jede Führungskraft wusste, dass sie ihre Ziele nur mit Hilfe ihrer Mitarbeiter erreichen konnte. Kompetente Mitarbeiter galten noch als Vermögen eines Unternehmens und nicht als Kostenfaktor. Deswegen waren die Arbeitsverhältnisse auch langfristiger als heutzutage und die Firmen boten ihren Angestellten berufliche wie finanzielle Perspektiven.

Diese Einstellung änderte sich Mitte der 1980er Jahre mit dem Aufkommen der Pseudoreligion des realitätsfernen Neoliberalismus komplett. Nach und nach wurde die Bildung – immerhin ein Kostenfaktor! – politisch gewollt zurück gefahren. D. h. diejenigen, die Schule oder Hochschule verließen, waren weniger gut ausgebildet als ihre Vorgänger: Mehr Wissen bei weniger Fähigkeiten. Doch es wurden die gleichen Fähigkeiten erwartet. Zeitgleich begann sich die Schere zwischen Arm und Reich zu öffnen: Wer finanziell schlechter gestellten Verhältnissen entstammte konnte noch so viel auf dem Kasten haben – wenn er die Aneignung von Bildung nicht finanzieren konnte, dann blieb er außen vor. Das schmälerte den Bestand an gut ausgebildeten Fachkräftten gewaltig. Ein weiterer Faktor kam hinzu: Im Ausland (insbesondere im EU-Ausland) wurden für gewisse Qualifikationen deutlich bessere Konditionen geboten. Die unausweichliche Folge davon bestand darin, dass wirklich gute Leute Deutschland den Rücken kehrten und ins Ausland gingen. Dieser Trend hat sich bis heute ungebrochen fortgesetzt.

Seit den 1990er Jahren verhält es sich so, dass jemand, der aus finanziell besser gestellten Verhältnissen stammt, schon von vornherein eine Art von sozialem Bonus hat: Bessere Ausbildung und somit bessere Jobchancen sind vorbestimmt und wenn Papi nur genug Kohle und daraus resultierend Beziehungen hat, dann winkt eine Führungsposition – ganz unabhängig davon, ob besagter Jemand blöd wie hundert Meter Feldweg ist. Auf diese Weise ist es zu einer sozialen Spaltung gekommen: Führungspositionen sind sozial bessergestellten Bevölkerungsschichten vorbehalten. In Führungspositionen wird aber darüber entschieden, was ein Kostenfaktor ist und was nicht. Ausbildung kostet den Betrieb Geld. Kostenfaktoren gilt es im Neoliberalismus zu eliminieren. Die unausweichliche Folge davon: Keine Ausbildung mehr und keine Weiterbildung der Arbeitnehmer mehr. Arbeitnehmer haben sämtliche Kenntnisse bereits mitzubringen und sind beliebig austauschbar geworden. Das wird auch als Hire-And-Fire-Mentalität bezeichnet. In einer meiner früheren Homepages – das liegt jetzt 21 Jahre zurück – hatte ich dazu mal exemplarisch eine reale Stellenanzeige angeführt.

Gesucht: Master Chemie
Stellenprofil: Wir suchen zum nächstmöglichen Termin für unsere Abteilung „Marketing“ eine/n „Marketing-Referent/in“.
Anforderungen: Abgeschlossenes Studium der Humanmedizin, der Humanbiologie, der Veterinärmedizin, der Pharmazie, der Biologie oder der Chemie sowie eine mindestens zweijährige Berufserfahrung. Die ausgeschriebene Stelle ist nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz auf die Dauer von 24 Monaten befristet.
Qualifikation: Kräfte mit Hochschulniveau und Berufserfahrung.
Alter: 30

Also was wird hier gesucht? Ein fünf- bis sechsfacher Master, welcher nur 30 Jahre alt ist und der zwei Jahre Berufserfahrung mitbringt. Das bedeutet, dass der bzw. die Betreffende im Alter von 28 Jahren 5-6 parallele Studiengänge (also binnen etwa 8 Jahren) hätte beendet haben müssen: Ein naturwissenschaftliches Genie! Dieses naturwissenschaftliche Genie soll jetzt aber gleichzeitig geistig so mindermittelt sein, dass es als Werbefuzzie für zwei Jahre befristet losgeht. Merken die „Personaler“ noch irgendwas? Sowas macht nachdenklich…

Gesucht wird nicht nur „die Fachkraft“. Gesucht wird derjenige, der alles perfekt weiß und beherrscht und zu dem man ohne jegliche weitere Einarbeitung „Mach mal“ sagen kann. Gesucht wird also jemand, der von außen in ein Unternehmen kommt, dabei aber detaillierte Kenntnisse der technischen Interna eben dieser Firma vorweisen kann, also Kenntnisse, die normalerweise unter die Firmengeheimnisse fallen. Das wäre in letzter Konsequenz aber ein gut geschulter Industriespion. Der deutsche Arbeitnehmer muss mobil (… heute hier, morgen dort …), ungebunden („Wie jetzt – Familie? Wer heute noch Kinder hat, der ist doch sowieso asozial!“), flexibel (… jederzeit greifbar, auch am Wochenende, auch nach Feierabend …), wirtschaftlich („… bei dem Gehalt würde sich ein Kuli in Kalkutta glatt als Krösus fühlen …“) und teamfähig („… wenn ich sage spring, dann springst du …“) sein. Er muss sich für seinen Arbeitgeber engagieren und zusätzlich eine hervorragende Ausbildung vorweisen. Solche Blödmänner, die fachlich was drauf haben und trotzdem alles mit sich machen lassen, sind schwer zu finden. Das nennt sich dann „Fachkräftemangel“. Die Wirtschaft wird nicht müde zu betonen, wie sehr es ihr doch an qualifizierten Fachkräften fehlt. Und so lange Personalabteilungen derart paradoxe Forderungen an den Tag legen, wäre es vielleicht sinnvoller, anstelle von technischen Fachkräften zunächst einmal echte Fachkräfte für das Personalwesen zu suchen. Ich mein ja nur …

Manche Stellenanzeigen lesen sich wie das Leistungsspektrum einer ganzen Firma. Firmenpleiten sind inzwischen gang und gäbe und da fragt man sich, woran das wohl liegen mag. Ich kannte mal einen Jung-Ingenieur, frisch von der Schule und aus der Kategorie „früer wusde ich nich, wie man Inkschänöa schreipd un heute binnich einen“. Der hat mir zwei Stunden lang mit Integral- und Differentialrechnung vorgerechnet, wie man einen Abwasser-Schlamm mit Sägespäne so konditionieren kann, dass er sich schneller absetzt. Als er mit seinem Vortrag fertig war, fragte ich ihn, was wohl passiert, wenn er ein Stück Holz ins Wasser wirft – ob das untergeht oder ob das oben schwimmt? Er bezeichnete das als gänzlich unwissenschaftlichen Einwurf. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung eines florierenden Zweitwerks, welches dann nochmal zwei Jahre später und unter seiner Leitung in die Insolvenz ging. Wer litt wohl am meisten unter dem Arbeitsplatzverlust?

Was ich damit sagen will: Entscheidungen treffende Führungskräfte in der Wirtschaft haben nach meinen Erfahrungen i. d. R. von den wahren Anforderungen in einem Job keinen blassen Schimmer und verlassen sich daher auf Papiere – Papiere, die im Zuge einer sich immer weiter verschlechternden Allgemeinbildung immer wertloser werden. Einerseits ist das für die Führungskraft von Vorteil, denn drittklassige Vorgesetzte stellen immer nur fünftklassige Untergebene ein (weil die ihnen nicht gefährlich werden können). Andererseits aber leidet das Unterehmen darunter gewaltig – und dann werden fehlende Fachkräfte beklagt. Dabei übersieht man geflissentlich, dass – zwar nicht immer, aber leider immer öfter – diejenigen, die heute als Fachkraft zählen, vor zwanzig Jahren häufig mangels Qualifikation gar keinen Job bekommen hätten. Simples Beispiel: Damals beherrschte der Abiturient noch Dreisatz, Bruch- und Prozentrechnung und rechnete sowas im Kopf aus. Heute er die Kompetenz, derartige Kenntnisse zu erwerben und bemüht, wenn das denn nachträglich geschehen ist, zur Berechnung die Taschenrechner-App auf seinem Smartphone. Wer’s nicht glaubt der mache einfach mal einen simplen Test und frage irgendwen: „Da sind zwei gleichwertige Jacken und beide sollten zuerst 50 Euro kosten. Für die eine gibt es einen wirklich sagenhaften Rabatt von 15% und die andere ist auf 40 Euro runter gesetzt – welche ist preiswerter?“

Womit wir bei der Politik als Schuldigem wären, und zwar insbesondere bei der Bildungspolitik. Heutige Bildung im schulischen Bereich orientiert sich immer am Schwächsten und zieht damit die Gesamtleistung runter. Mein Eindruck aus neunjähriger Tätigkeit als quer eingestiegener Aushilfslehrer ist der, dass Merkfähigkeit und Konzentration der heutigen Schülergeneration gegenüber früher gravierend nachgelassen haben. Kaum ein Schüler bringt mehr als drei Minuten an Konzentration auf und die Merkfähigkeit ist eine Katastrophe. Wenn etwas schon zig Mal gemacht worden ist und man zum 8351. Mal die Bearbeitungsschritte wieder vorbeten muss, weil sich das Wissen aus der letzten Woche verflüchtigt hat, dann tritt man auf der Stelle. Das ist aber den Schülern kaum anzulasten, weil sie Konzentration und Merkfähigkeit nie trainiert haben. Ich meine, wir mussten früher Lieder und Gedichte wieder und wieder auswendig lernen, darunter wie selbstverständlich auch längere und anspruchsvollere Texte – so etwas wie die berüchtigte „Glocke“ von Friedrich Schiller. Ich habe das immer gehasst. In der Rückschau allerdings muss ich zugeben, dass so etwas das Gedächtnis trainiert. Das ist Übung oder schlicht „Pauken“. Damit werden Konzentration und Merkfähigkeit aufgebaut. Daran fehlt es heute. Das ist im Lehrplan nicht mehr vorgesehen; das kostet nur unnötig vertane Zeit. Und Zeit ist Geld. Deswegen: Möglichst viel Stoff in möglichst kurzer Zeit zugunsten der unter vermeintlichem Fachkräftemangel leidenden Wirtschaft durchochsen. Schnell nochmal halbwissenden Nachwuchs produziert. Irgendwie wird’s schon gehen.

Allerdings spielt im Rahmen von Erziehung und Ausbildung auch das Elternhaus eine gravierende Rolle. Wenn die Eltern es schaffen, die seitens der Schule verursachten Defizite einigermaßen auszugleichen – was hinreichend viel Wissen, Geld und Freizeit bei den Eltern, mithin also gute und sichere Arbeitsverhältnisse, voraus setzt – dann ist der Nachwuchs im Vergleich zum gebeutelten H4-Elternhaus nicht gänzlich chancenlos. Doch auch das Gegenteil spielt eine Rolle, nämlich der überbehütete und aus gutem Hause stammende Jungspund, dem ein gewisses Standesbewusstsein anerzogen worden ist. Ihm steht eigentlich alles offen, bloß anstrengen, bücken, schleppen, zu Fuß gehen und Dreck wegmachen ist selbstverständlich viel zuviel verlangt und das überlässt er gerne anderen, die seiner Meinung nach in sozialer Hinsicht weit unter ihm stehen: Er ist zu Höherem berufen!

Anschließend haben diese „Fachkräfte“ die richtigen Papiere und einzig das zählt. Ahnung haben sie allerdings nicht und kein Betrieb ist noch dazu bereit, diverse Wissenslücken zu füllen, weil man die Leute nun einmal nicht mehr langfristig beschäftigt. Nur gibt es eben zuwenig Leute mit hinreichend viel Ahnung UND mit den passenden Papieren. Zusätzlich herrscht in den Führungsebenen die Auffassung vor, dass bestimmte Tätigkeiten eine akademische Ausbildung voraus setzen. Das so etwas – mitunter sogar besser – auch von einem Meister, Techniker oder berufserfahrenen Gesellen erledigt werden könnte (wie es früher gang und gäbe war) kommt den „Kopfgesteuerten“ heute gar nicht mehr in den Sinn, denn die überlegen nicht mehr, was bzw. wen sie wirklich brauchen, weil sie selbst keinen blassen Schimmer von den Abläufen im Unternehmen haben (vgl. oben). Es ist zwar lange her, aber ich habe im Verlauf meiner beruflichen Tätigkeit selbst noch Personaler erlebt, die in der Produktion zeitweise aushalfen, um sich ein Bild von den Anforderungen und Aufgaben für neue Kräfte machen zu können. Heute ist das undenkbar.

Zwei weitere Punkte sind von eminentem Interesse. Einer davon betrifft die Planungssicherheit. Wer heute in einem Beruf tätig ist, der ist erstmal froh, zumindest zeitweise einen Job zu haben. Aber langfristig reicht das nicht. Der Betreffende benötigt auch eine Perspektive. Er will für die Zukunft planen können, gerade auch privat. Das setzt ein unbefristetes Arbeitsverhältnis voraus. Derartige Arbeitsverhältnisse aber werden kaum noch angeboten. Stattdessen gibt es Befristungen oder sogar Zeitarbeit. Beides gestattet eben KEINE Zukunftsplanung und weswegen sollte sich ein Arbeitnehmer dann in so einem Job zugunsten eines Unternehmens engagieren? Hier gilt eher: „Wie du mir so ich dir!“ Mit von vornherein befristeten Arbeitsstellen bringen sich die Unternehmer selbst um die besten Leute; daran ändern auch Kampagnen zur „Corporate Culture“, zur „Work-Life-Balance“ oder kleine Benefits wie Müsli, Süßigkeiten und Softdrinks am Arbeitsplatz nichts. Was die Menschen wirklich brauchen sind Planungssicherheit – Geld! – und Freizeit. Oder, anders ausgedrückt: Sie wollen wie Menschen behandelt werden und nicht wie das beliebig austauschbare Ersatzteil, als das viele Führungskräfte sie tatsächlich betrachten.

Damit sind wir beim zweiten Punkt, nämlich bei dem lieben Geld. Arbeitnehmer gelten im Neoliberlismus als reine Kostenfaktoren. Deswegen haben die Löhne so niedrig wie irgend möglich zu sein. Noch in den 1980er und 1990er Jahren reichte es aus, wenn einer von einer vierköpfigen Familie einer Erwerbsarbeit nachging. Davon konnten alle paar Jahre mal ein neues Auto, ein jährlicher Urlaub, nach ein bis zwei Jahrzehnten ein Eigenheim und die permanent anfallenden Lebenhaltungskosten sowieso beglichen werden. Heute, OHNE Kinder, müssen beide Partner arbeiten, dazu Überstunden schieben oder noch einen weiteren Job annehmen und am Ende des Geldes ist jedesmal immer noch so verdammt viel Monat übrig. Unter diesen Bedingungen ist eine Zukunftsplanung ausgeschlossen, zumal keiner weiß, wo er bei befristeten Jobs in zwei Jahren stehen wird.

Robert Bosch sagte einmal: „Ich zahle nicht gute Löhne weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“ Bedeutet: Man könnte Fachkräfte durch angemessene Vergütungen motivieren. Das aber geschieht im Neoliberalismus schon seit Jahrzehnten nicht mehr, denn wenn es so wäre, dann hätten wir nie einen Mindestlohn gebraucht. Ergo geht die heutige Fachkraft immer zu dem, der ihr die besten Konditionen bietet. Das Nachsehen haben die, die das nicht tun – und die bejammern den „Fachkräftemangel“. Es gibt allerdings noch eine weitere Gruppe von Arbeitgebern, die des Jammerns nicht müde wird. Bei denen handelt es sich um die „Führungskräfte aus besseren Verhältnissen“, die eine Firma übernehmen, blöd wie Brot (aber zum Ausgleich arrogant und ignorant) sind und die zwecks „Verjüngung des Personalbestandes“ verdiente und kompetente, ältere Mitarbeiter vor die Tür setzen oder rausekeln – vielleicht spielt die eigene Angst vor der Kompetenz des Untergebenen damit rein; Leistungsträger unterhalb der eigenen sozialen Schicht sind so manchem ein Dorn im Auge. Solche Schwachmaten berauben sich selbst der besten Fachkräfte und haben hinterher wirklich allen Grund zum Jammern – nur sehen sie nicht ein, dass ihre Situation selbstverschuldet ist!

Nicht alle Unternehmen agieren so. Der Mittelstand, gerade bei Traditionsunternehmen, hat schon lange bemerkt, wie wichtig gute Leute sind. Der setzt auf Ausbildung und Übernahme und gibt gar nicht mal selten auch denjenigen eine Chance (und damit eine Perspektive), die nicht über die richtigen Scheine verfügen. Allerdings schwindet der Mittelstand. Noch in den 1970er und 1980er Jahren war er Deutschlands größter Arbeitgeber. Heute ist er das schon lange nicht mehr. Heute sind das Großkonzerne und so mancher Mittelständler ist nur noch der verlängerte Arm eines Großkonzerns und somit an externe Weisungen gebunden. In besagten Großkonzernen aber haben Führungskräfte von gehobener, sozialer Herkunft das Sagen und die sehen nur noch Zahlen anstelle von Menschen. Wo ich eigentlich noch drauf warte wäre eine wirklich ehrliche Stellenanzeige, so etwa nach dem folgenden Schema:

– Hier erhalten Sie harte Euros! Mit einem großzügigen Werkvertrag, der Ihnen sagenhafte 0,02 Euro pro abgeschlossener Tätigkeit zusichert, können Sie bei entsprechendem persönlichen Engagement sogar reich werden! (Bitte vergessen Sie nicht, eine private Diensthaftpflichtversicherung abzuschließen, da wir aufgrund unserer prekären Situation nicht für etwaige Fehler Ihrerseits aufkommen können.)
– Die Entlohnung erfolgt zeitnah. Immer! Binnen spätestens eines halben Jahres erhalten Sie Ihren Lohn. (Bis dahin bitten wir von Rückfragen abzusehen.)
– Befreien Sie sich von so lästigen Sachzwängen wie festgelegten Arbeitszeiten, Überstunden, Urlaub sowie Sonn- und Feiertagen. Stellen Sie sich ganz in den Dienst „Ihres“ Unternehmens! Zeigen Sie endlich mal ganz ungezwungen, wie lange und wie hart Sie arbeiten können und stellen Sie andere in den Schatten! Sie sind derjenige, der Einsatz zeigt!
– Sie denken unternehmerisch! Tarife, Mindestlöhne u. ä. Unsinn sind für Sie überholt, sind Schnee von gestern!
– Sie sind ein ganzer Kerl und hart im Nehmen; nichts haut Sie um! Auf kleinliche „Arbeitssicherheit“ oder auf „menschenwürdige Arbeitsplätze“ können Sie daher getrost und gerne verzichten! Gewinnmaximierung ist Ihre Direktive! Nur die Harten komm‘ in‘ Garten!
– Das Sie flexibel und ungebunden sind, setzen wir als selbstverständlich voraus; Familien sind nur unnötiger Ballast!
– Erleben Sie die großartige Vielfalt deutscher Unternehmen, indem Sie zeitweise mal hier und mal da arbeiten dürfen! Sie werden viele neue Bekanntschaften machen können, heute hier und morgen dort! Das erweitert den Horizont!
– Autorität, Gehorsam und Hierarchien sind für Sie noch lebende Werte! In diesem Sinne unterstützen Sie unsere Führungselite nach Kräften.
– Ihr Know How befindet sich immer auf der Höhe der Zeit und Sie opfern auch bereitwillig ihre Freizeit zur beruflichen Weiterbildung! (Bitte haben sie Verständnis dafür, dass wir aufgrund unserer prekären Situation derartige Qualifizierungsmaßnahmen bei Werkverträgen und Leiharbeitsverhältnissen nicht finanzieren können.)
– Haben Sie keine Angst vor Steuern! Gerade bei den von uns gesuchten Fachkräften ist die Grenze, ab der eine Besteuerung überhaupt erst einsetzt, so hoch gelegt worden, dass die für Sie belanglos bleiben wird!
– Wir warten auf Ihre Bewerbung. Je schneller Sie uns Ihre vollständigen Unterlagen zusenden, desto eher können Sie an der Verlosung der zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze teilnehmen!
– Erleben Sie umweltschonendes Recycling, gerade auch Ihre persönlichen Daten betreffend! Sie werden erstaunt sein, wie viele unnütze Ausgaben Ihnen erspart bleiben, wenn Sie nach der Bewerbung bei uns nur noch zielgerichtete Werbung erhalten!
– Denken Sie immer daran: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“

Tja – und wer auf eine solche Annonce hin (bei so mancher Stellenanzeige kann man das oben Stehende nämlich zwischen den Zeilen bereits lesen) kein Personal findet, der stimmt in das „Fehlende-Fachkräfte“-Gejaule mit ein. Die Frage dahingehend, warum er selbst keine ausbildet oder heranzieht – wie es früher sehr gut funktioniert hat – darf gar nicht erst gestellt werden. Die seitens der Politik auf diese Weise geförderte Wirtschaft (inklusive vorausgehender Bildung) ist meiner Meinung nach nicht mehr reformierbar. Sie ist vielmehr ein Sanierungsfall! Deswegen befürworte ich auch ein BGE, denn das würde es den Arbeitnehmern erlauben, mit den Arbeitgebern auf Augenhöhe zu verhandeln. Anschließend gäbe es zwangsläufig wieder Perspektiven für Arbeitnehmer und damit auch Fachkräfte. Aber das widerspricht dem neoliberalen Grundgedanken und deswegen will das ja auch keiner … 😦