Ich engagiere mich ehrenamtlich, nämlich in einem Verein. Weil: Wenn Hilfe gebraucht wird und meine Arbeit auch anerkannt wird, dann helfe ich eben. Aus altruistischen Gründen – und weil ich dadurch was lernen kann. Im Durchschnitt sind das bei mir 40 Stunden monatlich. Dabei bin ich selbst nur einer von ganz, ganz vielen Ehrenamtlichen. Ein Ehrenamt kann durchaus mit ziemlich viel Arbeit verbunden sein – allerdings: Bezahlt wird die nicht. Man erhält bestenfalls einen klitzekleinen Unkostenausgleich, der jedoch i. d. R. die tatsächlichen Kosten in keinster Weise deckt (bei mir 40€ jährlich und die realen Kosten liegen deutlich höher). Wikipedia weiß zu berichten, dass in diesem unserem Lande aktuell etwa jeder Dritte in einem Ehrenamt tätig ist. Bei 82 Millionen Einwohnern wären das somit 27.333.333 Menschen – eine beeindruckend große Zahl. Im Jahr 2015 waren es anderen Quellen zufolge 23 Millionen Menschen. Gehen wir nachfolgend daher mal von der „Hausnummer“ 25.000.000 Menschen aus – immer noch verdammt viele!

Nun stellt sich mir dabei die durchaus kritisch gemeinte Frage, wieviel Geld unser so genannter „Sozialstaat“ eigentlich durch die Arbeit von Ehrenamtlichen einspart. Oder ob nicht die ehrenamtliche Tätigkeit ganz bewusst als Ersatz für den einstigen, gut funktionierenden Sozialstaat – den es heute wirklich nur noch auf dem Papier gibt – missbraucht wird, ob nicht folglich seitens unseres Staates ein Ehrenamtsmissbrauch vorliegt? Denn Ehrenamt statt Sozialstaat – das würde doch den Bundeshaushalt ganz enorm entlasten, die Wirtschaft florieren und die Reichen noch reicher werden lassen sowie so mancher schwarzer Null in Berlin ein „Hoch-die-Tassen!“ ermöglichen. Allein: Belastbare oder nachvollziehbare Zahlen zu den staatlichen Einsparungen durch ehrenamtliche Tätigkeit sind nirgendwo zu finden. Vielleicht ist das ja sogar beabsichtigt? Weil, wenn man so etwas mal rein fiktiv durchrechnet, dann doch ganz horrende Summen dabei herumkommen. Summen, von denen mit absoluter Sicherheit garantiert weder ein so genannter „Volksvertreter“ noch dessen mehr oder weniger heimlicher Boss, nämlich der Industrie- oder Wirtschaftskapitän, etwas hören will.

Also rechnen wir mal – rein fiktiv selbstverständlich. Der Mindestlohn in Deutschland liegt im Jahr 2019 bei 9,19€ pro Stunde. Nehmen wir mal an, jeder Ehrenamtliche hätte ungeachtet seiner Qualifikation lediglich Anspruch auf diesen Mindestlohn. Nehmen wir mal weiter an, dass jeder Ehrenamtliche monatlich nur 10 Stunden im Ehrenamt tätig ist (ist i. d. R. wesentlich mehr; das weiß ich ja aus eigener Erfahrung). Dann macht das jährlich bei 25 Millionen Ehrenamtlichen (also bei der eingangs erwähnten Hausnummer) „25.000.000 Ehrenamtliche * 12 Monate * 10 Stunden * 9,19€/h = 27.570.000.000€“ – und zwar als absolutes Minimum! Zum Vergleich: Im Jahr 2019 liegt der deutsche Verteidigungshaushalt bei 43,2 Milliarden Euro. Es dürfte daher nicht grundsätzlich falsch sein, davon auszugehen, dass unser Staat durch das Ehrenamt tatsächlich Kosten zumindest knapp in der Höhe des Verteidigungshaushalts einspart – und zwar Jahr für Jahr. Im Bundeshaushalt 2019 sind 358,8 Milliarden Euro vorgesehen. Der Verteidigunghaushalt macht dabei gut 12% des Bundeshaushaltes aus. Runden wir ab: Der Haushaltsanteil, der durch die ehrenamtliche Arbeit von Freiwilligen eingespart wird, kann locker mit 10% (eher mehr) beziffert werden!

D. h. unser so genannter „Sozialstaat“ zockt von seinen Bewohnern schon mal locker 10% seiner Einnahmen für nichts und wieder nichts ab. Wozu gibt es dann eigentlich noch zusätzlich die Steuerpflicht für die „kleinen Leute“ (Großkonzerne sind aufgrund zahlloser Schlupflöcher ja de facto sowieso weitestgehend steuerbefreit)? Im Grunde genommen bedeutet Ehrenamt dann doch, „die da oben“ auszuhalten – bspw. indem man ihnen ein leistungsloses Grundeinkommen in fürstlicher Höhe zufließen lässt. Unter diesen Gesichtpunkten ist es dann aber nicht mehr verwunderlich, wenn es bei Organisationen, die auf das Ehrenamt zurückgreifen, an Nachwuchs fehlt. Das wird oft genug seitens besagter Organisationen beklagt. Doch noch etwas kommt hinzu: Egal welche Organisation man nimmt – an der Spitze sitzen immer Leute, die in Festanstellung arbeiten, kassieren und die eben dadurch ihr (gutes?) Auskommen haben. Menschen, die dann denjenigen, die ihnen altruistisch und kostenfrei zuarbeiten, Vorschriften machen wollen. Ist das gerechtfertigt? Auch derartige Verhältnisse sind nicht eben dazu angetan, weitere Freiwillige als Nachwuchs zu aquirieren.

Was aber würde eigentlich passieren, wenn es aus den o. e. Gründen gar kein Ehrenamt mehr gäbe? Unsere Gesellschaft würde zusammenbrechen! Zuerst würde es nur im Kleinen wehtun – wenn eine monatliche Mitgliederzeitschrift nicht mehr im Briefkasten landet oder wenn Vereinsveranstaltungen ausfallen müssen. Das sind Eurobeträge und die kann man verschmerzen. Die nächste Stufe wären die größeren Sachen – wenn bspw. Vereine sich auf Länderebene zusammentun, um eine von den Anliegern zu finanzierende Straßenausbaugebühr zu kippen, weil die Dorfstraße als Autobahnumgehung herhalten musste und von den Vierzigtonnern kaputtgefahren worden ist. Das sind dann schon Summen, die in die Tausende bis Zehntausende an Euros gehen – und zwar für jeden einzelnen betroffenen Otto Normalverbraucher. Das tut richtig weh! Schließlich sind da noch die kulturellen Großveranstaltungen – Schützenfest in Hannover, Oktoberfest in München, so manches Fußballspiel, Kieler Woche, WOA usw. Die müssten schlichtweg abgesagt werden. Weil keine Helfer oder ehrenamtlichen Sanitäter da sind. Der dadurch zu erwartende Verlust ginge in die Millionen: Ein Volk ohne ehrenamtliche Tätigkeit würde zu einem Volk ohne Kultur werden! Von Notfällen (Flutkatastrophe, Brand etc.), THW, Rettungsdiensten und den Freiwilligen Feuerwehren und was dann passiert will ich lieber gar nicht erst anfangen, denn wer sich in einer Notsituation auf unseren Staat verlässt, der ist verlassen. BTW: Das war übrigens nicht immer so; ich erinnere da nur mal an die Flutkatastrophe in Hamburg im Jahr 1962.

Es würde folglich viel – sehr viel! – dafür sprechen, das Ehrenamt, wo und wie auch immer es ausgeübt wird, aufzuwerten. Doch geschieht das? Nein! Ein Beispiel dafür wurde bereits angeführt, nämlich die unzureichende Unkostenerstattung. Aber es gibt natürlich noch viel krassere Situationen. Ich war einmal in einem Betrieb tätig, in dem ein neuer Mitarbeiter eingestellt werden sollte. Einer der Bewerber wäre ideal geeignet gewesen. Er wurde nicht genommen. Warum? Weil er Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr war. Der Boss drückte das damals so aus: „Der ist ja ständig weg. Der soll hier arbeiten! Wer so dämlich ist, dass er es zum Brand kommen lässt, der hat es doch auch gar nicht anders verdient und soll mir bloß nicht meine Arbeitskräfte wegnehmen!“ Ein anderer Fall (auch selbst erlebt): Jemand wird in einer überregionalen Notsituation vom Land angefordert, weil er Mitarbeiter des Katastrophenschutzes ist. Zwei Wochen später auf der Arbeitsstelle wirft der Boss ihm „Blaumachen auf meine Kosten“ vor, droht zuerst mit der Kündigung und erhebt anschließend Mobbing und Bossing zur Kunst, weil er besagten Mitarbeiter aufgrund von dessen ehrenamtlicher Tätigkeit unbedingt loswerden will.

Unter diesen Gesichtspunkten ist es ehrlich gesagt sogar äußerst verwunderlich, dass immer noch so verdammt viele Menschen in Deutschland in einem Ehrenamt tätig sind. Wenn man sich dann zusätzlich noch einmal die o. e. Zahlen zur Einsparung unseres Staates durch eben diese Ehrenamtlichen vor Augen hält, dann bleibt am Ende wirklich nur ein Schluss: Ja, es liegt ein Ehrenamtsmissbrauch vor! Die Bevölkerung wird von seinen gewählten Vertretern verascht – und zwar nach Strich und Faden! Doch auch das ist offensichtlich nur eine weitere Facette von der Pseudoreligion des leidigen Neoliberalismus, in dem Geld und Reichtum zulasten von Menschen quasi angebetet werden.